P. Niederhäuser: Krise, Krieg und Koexistenz

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Titel
Krise, Krieg und Koexistenz. 1415 und die Folgen für Habsburg und die Eidgenossenschaft


Herausgeber
Niederhäuser, Peter
Erschienen
Baden 2018: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 39,00
URL
von
Roland Gerber

Im April und Mai 2015 jährte sich die Eroberung des habsburgischen Aargaus durch eidgenössische Truppen zum 600sten Mal. Aus diesem Anlass führte das Historische Institut der Universität Bern vom 18. bis 20. Juni 2015 eine internationale Fachtagung unter dem Titel «Eroberung und Inbesitznahme – Conquest und Occupation» durch und diskutierte Besetzung und Inbesitznahme aargauischer Städte und Adelsherrschaften im Vergleich mit anderen gewaltsamen Herrschaftsaneignungen in Europa im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts.1 Peter Niederhäuser beteiligte sich mit einem Vortrag über Herzog Friedrich IV. von Österreich und die habsburgische Landesherrschaft im Schicksalsjahr 1415. Er zeigte auf, dass die Ursache für den während des Konstanzer Konzils (1414–1418) eskalierenden Konflikt zwischen König Sigismund aus dem Hause Luxemburg und Friedrich IV. nicht – wie dies die eidgenössische Geschichtsschreibung seit dem 15. Jahrhundert kolportierte – die Fluchthilfe des Herzogs für den abgesetzten Papst Johannes XXIII. gewesen sei. Vielmehr habe sich der König vor versammelten Reichsfürsten «zum Anwalt» jener geistlichen und weltlichen Herren gemacht, «die im Tirol oder in den Vorlanden unter habsburgischem Druck standen». Das bis heute verbreitete Bild Friedrichs IV. von Österreich als erfolglos agierender Herzog «mit der leeren Tasche» revidierte er damit durch ein Geschichtsbild, das den Habsburger als durchaus erfolgreichen Territorialherren zeigt, dessen zahlreiche Gegnerschaft in Sigismund von Luxemburg einen wirkungsmächtigen Verbündeten fand.

Mit dem vorliegenden Band knüpft Peter Niederhäuser an die 2015 aufgegriffene Thematik an mit dem Ziel «das wenig schmeichelhafte, vor allem von der südwestdeutsch-eidgenössischen Chronistik des späten Mittelalters geprägte Bild eines hochnäsigen, hinterlistigen und jähzornigen Fürsten» zu hinterfragen und zu differenzieren. Dazu versammelt er eine Autorin und elf Autoren, die in insgesamt 17 meist kürzeren Beiträgen den aktuellen Forschungsstand zur Politik Friedrichs IV. von Österreich von 1404 bis 1439 und die Folgen des am 30. März 1415 vom König ausgerufenen «Reichskriegs» für die österreichischen Herrschaftsinhaber in den Gebieten westlich des Arlbergs referieren. Indem Niederhäuser die eidgenössischen Orte aus der Betrachtung ausklammert, ermöglicht er eine veränderte Sichtweise mit dem Ergebnis, dass die durch Sigismund erzwungene Huldigung der habsburgischen Gefolgschaft für die Mehrheit der betroffenen Städte und adligen Herrschaftsträger lediglich Episode blieb und keine dauerhafte Loslösung von Friedrich IV. bedeutete. Mit Ausnahme des Aargaus (Bruno Meier) und Schaffhausens (Oliver Landolt), das den 1415 erlangten Status einer Reichsstadt behaupten konnte, gingen bis 1449 alle zu Beginn des 15. Jahrhunderts unter österreichischer Herrschaft stehenden Städte und Adelsherrschaften wieder an Habsburg. Beim Tod des Herzogs am 24. Juni 1439 hinterliess er seinem unmündigen Sohn Sigismund mit Ensisheim (Heiratsgut Katharina von Burgunds von 1406 bis 1427) und Innsbruck zwei Residenzen sowie «übervolle Taschen», alimentiert aus den Einkünften der neu erschlossenen Silberminen im Tirol (Gustav Pfeifer).

Die vorliegende Aufsatzsammlung macht deutlich, dass Friedrich IV. von Österreich, nachdem er sich als jüngster von vier rivalisierenden Brüdern zwischen 1404 und 1411 als Regent von Tirol und den Vorlanden hatte durchsetzen können (Alois Niederstätter), erfolgreich an die Erwerbs- und Territorialpolitik seiner Vorgänger anknüpfte und die habsburgische Landesherrschaft nach längerer Abwesenheit wiederherzustellen begann. Ausdruck seines Erfolgs war, dass territoriale Konkurrenten wie die Markgrafen von Baden oder eigene Gefolgsleute – wozu auch der 1412 abgesetzte Landvogt Hermann von Sulz gehörte – um ihre zwischen 1393 und 1411 usurpierte Machtstellung fürchteten. König Sigismund nutzte diese Rivalitäten, um seine politischen Interessen auf Kosten Friedrichs IV. durchzusetzen. Mit der «Enteignung» des Herzogs beabsichtigte der König jedoch weniger, seine eigene herrschaftliche Stellung am Ober- und Hochrhein auszubauen. Vielmehr bedeutete seine zwischen Repression und Ausgleich lavierende Politik in erster Linie ein äusserst lukratives Geschäft. Während Friedrich IV. allein für seine Wiedereinsetzung als Herzog 1418 nicht weniger als 50’000 Gulden an die königliche Kammer entrichten musste, erbrachten die wiederholte Verleihung neuer und Bestätigung alter Privilegien, die Ablösung von Pfandschaften sowie die Erhebung von Kontributionen und Kriegssteuern weitere Einnahmen ungefähr in der gleichen Höhe. Zudem nutzten ehemals habsburgische Städte wie Winterthur (Peter Niederhäuser), Rapperswil (Basil Vollenweider), Waldshut, Rheinfelden und Laufenburg (Andre Gutmann) die Verhandlungen über eine Rückkehr unter österreichische Herrschaft, um von Friedrich IV. weitergehende Autonomie zu erlangen (Rathausneubauten in Rapperswil 1419 und Winterthur 1435). Andere wie das exponiert gelegene Freiburg im Uechtland (Willy Schulze), Villingen im Schwarzwald oder die Städte im Elsass und Sundgau (Dieter Speck) blieben von der Politik Sigismunds zwar weniger beeinträchtigt, mussten sich jedoch in lokalen Fehden behaupten. Als Freiburg im Breisgau schliesslich sogar die Bündnis- und Steuerfreiheit einforderte, war Friedrich IV. jedoch zu keinen Zugeständnissen mehr bereit. Am 13. März 1428 huldigte ihm der Rat, noch bevor der Herzog die städtischen Privilegien bestätigt hatte. Auch Basel, das sich trotz Aufforderung des Königs nicht am Reichskrieg beteiligte und deshalb – ganz im Unterschied zu den eidgenössischen Orten – keine territorialen Gewinne machte, arrangierte sich 1420 mit dem Habsburger (Bettina Fürderer).

Die von Peter Niederhäuser publizierten Beiträge gewähren einen vielfältigen und erkenntnisreichen Einblick in die Handlungsmöglichkeiten, welche die von König Sigismund am 30. März 1415 in Konstanz verkündete «Befehdung» – wie Günter Katzler die quasi Ächtung Friedrichs IV. bezeichnet – für die verschiedenen österreichischen Herrschaftsinhaber westlich des Arlbergs eröffnete. Zwar werden keine wesentlich neuen Forschungsergebnisse präsentiert, da sich die Autorin und Autoren bereits zuvor einschlägig zu den behandelten Themen geäussert haben. Das einseitige Bild Herzog Friedrichs IV. von Österreich als gescheiterter Landesfürst, der seit dem Konstanzer Konzil als «Zerstörer der Christenheit und des Heiligen Konzils» gebrandmarkt wurde (Rudolf Gamper), gehört damit jedoch endgültig zu den überholten Meistererzählungen der südwestdeutsch-eidgenössischen Geschichtsschreibung.

1 Die Tagungsbeiträge wurden publiziert in: Christian Hesse, Regula Schmid und Roland Gerber (Hg.), Eroberung und Inbesitznahme. Die Eroberung des Aargaus 1415 im europäischen Vergleich, Ostfildern 2017.

Zitierweise:
Roland Gerber: Rezension zu: Peter Niederhäuser: Krise, Krieg und Koexistenz. 1415 und die Folgen für Habsburg und die Eidgenossenschaft, Baden: Hier und Jetzt, 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 560-562.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 560-562.

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